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Das leise Leben der Bäume

Am Samstag den 5. Oktober 2019 haben wir eine Dichterlesung anlässlich der 36. Protestaktion auf den Platanenhain „Parkhaus statt Platanen? Nein danke!“ mit dem bekannten Ludwigshafener Lyriker Hans-Walter Voigt veranstaltet. Unser zum ersten Mal ausprobiertes Format ‚Dichterlesung unter freiem Himmel‘ mit neuem Wein  und selbst gebackenen Zwiebelkuchen war gut besucht. Hier die sehr lesenswerte Rede von Hans-Walter Voigt und natürlich auch Lyrik:

Hans-Walter Voigt

REDE UND LESUNG ZUR ERHALTUNG DES

PLATANENHAINS IN LUDWIGSHAFEN

Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger von Ludwigshafen,

meine sehr geehrten Damen und Herren !

Der Schriftsteller Reiner Kunze hat einmal geschrieben:

„sensibel ist die erde über den quellen:

kein baum darf gefällt,

keine wurzel gerodet werden.

die quellen könnten versiegen.

wie viele bäume wurden gefällt?

wie viele wurzeln gerodet?

in uns“

Wir alle wissen, dass das Waldsterben schon begonnen hat und Forderungen an uns alle und die nachfolgenden Generationen stellt. Es ist nicht damit getan, wenn die Bundesagrarministerin, wie sie dies am 1. August 2019 in Sachsen tat, einen „nationalen Waldgipfel“ fordert. Das sind länderübergreifende Gedanken, und uns allen muss auch klar sein: 

Der gesunde Wald ist ein Glied in reiner Kette von Maßnahmen, die ergriffen werden müssen, um unser Klima zu retten. Ja, und wenn wir nun hier unter diesen Platanen stehen, wissen Sie und ich, wissen wir alle, dass auch diese Bäume ein, wenn auch nur winziger Teil des globalen Ganzen sind, dass wir sie hier brauchen zum Atmen, zum Schutz vor der Hitze, welche wir in diesem Jahr schon ausreichend erfahren haben. Letztendlich aber brauchen wir diese Bäume auch als Orte der Ruhe, des Ausgleichs und der Entspannung der Menschen. Diese Bäume sind Lebewesen wie du und ich, und ich bin überzeugt: viele Menschen, die unter diesen Bäumen sich aufhalten, spüren auch die Kraft, die diese Bäume ihnen in gewissen Augenblicken geben.

Dieser Platanenhain sollte zuerst auf das Parkhausdach des geplanten Parkhauses und an verschiedene andere Stellen der Stadt verpflanzt werden. Er sollte also einem Parkhaus weichen, das man hier hin bauen will.

Aus Protest gegen diese Pläne ketteten sich Parteimitglieder von BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN seit Februar dieses Jahres regelmäßig an einen der 55 Bäume, und eine Bürgerinitiative sammelte Unterschriften gegen einen Parkhausbau.

In einer Bürgerversammlung im Juli 2019 kam Stephan Mertens, Geschäftsführer von Timon Bauregie den Forderungen der Bürgerinnen und Bürger einen kleinen Schritt näher, indem er das Parkhaus nun unter den Platanenhain bauen lassen wollte mit einer Isolierschicht zwischen Erde und dem unterirdischen Parkhaus.

Was aber, wenn diese Isolation brüchig wird? Dann müsste alles, aber auch alles samt den Platanen abgerissen werden, und der Traum vom Platanenhain wäre für immer vorbei! Außerdem weiß jeder von uns allen hier, dass ein Wurzelwerk, das keinen Zugang mehr zum Grundwasser hat, nur unzureichend mit Wasser und energiespendenden Mineralien versorgt würde.

Das sind die Fakten, der momentane Stand der Dinge.

BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und viele Mitbürgerinnen und Mitbürger dieser Stadt, zu denen auch ich gehöre, kämpfen für die Erhaltung des Platanenhains in seinem jetzigen Zustand! Hier, hinter mir und vor Ihnen steht das Hochhaus, in dem viele Menschen wohnen, die sich immer wieder darüber freuen, wenn sie von ihren Wohnungen aus auf diesen herrlichen Platanenhain schauen, oder wenn sie auf den Bänken unter den Bäumen die Ruhe genießen oder sich mit Bekannten hier unterhalten. Ich selbst habe in den letzten Monaten einige Menschen aus diesem Hochhaus kennengelernt, habe mit Ihnen geredet, habe ihre Gedanken und Gefühle versucht in mich aufzunehmen und zu verarbeiten.

Der Platanenhain dieser Stadt ist noch relativ jung, vergleicht man ihn mit den Platanen auf dem Ludwigsplatz oder mit der Platanenallee auf der Parkinsel. Aber deshalb verdient er denselben Respekt wie die beiden anderen.

Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger,

was ist ein Baum überhaupt? Sind wir uns dessen in unserem Inneren bewusst? Er ist ein Sinnbild der Natur, der uns Schutz und Nahrung bieten kann; doch zugleich auch ein Freund und Lehrer für Körper und Geist.

Wieviele Künstler, Dichter und Musiker haben immer wieder auf ihre eigne Art die Schönheit der Natur festgehalten! Auch das Leben der Bäume, die zu uns gehören, die ein Teil unseres Lebens sind.

Wir alle haben so vieles gemeinsam mit den Bäumen:

Von den LICHTBLICKEN, wenn sich Hoffnung auftut bis hin zu dem traurigen ENTWURZELT-SEIN, wenn wir den Boden unter den Füßen verlieren. Manche unter uns sind vielleicht „baumstark“ oder andere „aus einem guten Holz geschnitzt“, vielleicht gibt es auch solche, die „eine Krone tragen“.

Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger,

lassen Sie mich diese Bedeutung der Bäume für uns Menschen noch mit einigen Texten aus meinen Lyrikbänden jetzt hier zum Ausdruck bringen!

Das Lied der Bäume

Sie singen wieder.

Sie singen den Abschied,

das Ende der hellen Tage.

Was ist das nur

für eine seltsame Melodie

zum Ausklang der schönen Zeit.

Ihr Lied verschmilzt

zu Farben,

getragen von schillernden Blättern.

Die Vögel schwärmen aus

über Wiesen,

pastellzart-verblichen

die Farben des dahinfliegenden Sommers.

Ich höre das Lied,

das Klagen zum Abschied.

Noch einmal leuchtet das Laub

rot-golden in seinen sterbenden Tönen,

Der Nebel fällt

und zerfließt

mit dem letzten Licht des Tages.

Sie singen noch immer

dem Winter entgegen,

und ihr Klang durchdringt jedes Wort.

@Hans-Walter Voigt

…..

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

abschließend darf ich Ihnen noch ein Gedicht aus dem Werk der bekannten Hamburger Deutsch-Iranischen Schriftstellerin und Lyrikerin Barbara Naziri, die sich mit ihrem Künstlernamen Aramesh nennt, präsentieren:

Mein Freund, der Baum

In Ehrfurcht neige ich mein Haupt

vor dir, mein Freund, du edler Baum,

berühre zärtlich deine Rinde.

Das Dach von deinem dichten Laub

schützte gewiss so manchen Traum

von einem Menschenkinde.

Du hast uns Wesen überlebt

in Hunderten von Jahren,

den Stürmen abgerungen.

Ein jeder Zweig zum Lichte strebt,

um Leben zu erfahren,

aus deinem Stamm entsprungen.

Als Kind erklomm ich deine Zweige,

du knorrig schönes Baumgesicht.

Wo ist die Zeit geblieben?

Sie geht für mich zur Neige.

Mein Baum, für mich bist du Gedicht

vom Erdreich bis ans Himmelstor geschrieben.

@Barbara Naziri